Tageszeitung
«Der Bund», 14. Juli 1998, Rubrik «Gesundheit»
Noch ist White Cloud ein Geheimtipp,
der vorab Tanzschaffenden mit Amerika-Erfahrung
bekannt ist. Doch das wird sich vermutlich ändern: Ein Besuch in
Eliane Eichers White-Cloud-Studio in Bern zeigt, dass sich die effiziente
Körperarbeit an der Yoga-Maschine auch für Therapiebedürftige
und Laien eignet.
Von Marianne Mühlemann
Derzeit bieten in der Stadt Bern 40 Tanz- und Ballettschulen, 30 Fitness-
und Bodybuilding-Studios sowie rund ein Dutzend Aerobic- und Gymnastikschulen
ihre Trainings-, Tanz- und Bewegungsprogramme an. Bei diesem Angebot ist es
schwierig, das Richtige auszuwählen, zumal immer wieder Neues auftaucht.
Einer der jüngsten Bewegungstrends heisst White Cloud. Bei White
Cloud steht das körperliche Geschehen im Mittelpunkt. Nicht von ungefähr:
Die Bewegungsmethode wurde von Ballettänzern erarbeitet, von Bewegungsprofis,
die gewohnt sind, Bewegungsabläufe genau zu beobachten und auf ihre optimale
Koordination und Flexibilität zu analysieren.
White Cloud ist auch unter dem Namen GYROTONIC® bekannt.
Es wurde Anfang der achtziger Jahre vom amerikanischen Schwimmer, Tänzer
und Yogalehrer Juliu Horvath entwickelt. Die Bernerin Eliane Eicher hat
bei ihm in New York studiert, nachdem sie bei Angele und Friedrich Köhler,
Genevieve Fallet und Annemarie Parekh zur Tänzerin und Tanzpädagogin
ausgebildet wurde. Ihre Begeisterung und Entdeckung von White Cloud war so
gross, dass sie sich entschloss, in Bern das erste White-Cloud-Studio der
Schweiz zu eröffnen, in dem ausschliesslich nach dem originalen White
Cloud gearbeitet wird. Das Besondere an White Cloud ist, dass sich die Bewegungsarbeit
ebenso an professionelle Tänzerinnen, Tänzer und Sportler richtet
wie an Laien aller Altersstufen und Menschen mit körperlichen Stresssymptomen,
bei denen die Bewegungsarbeit therapeutisch wirksam einsetzbar ist. «White
Cloud entspricht jedem Grad an Geschmeidigkeit, jeder Körpergrösse
und jedem Gewicht und vermittelt ein Bewegungsbewusstsein, das die Qualitäten
des Tanzes mit jenen des Yogas vereint», sagt Eliane Eicher. «Der
Bund» wollte es wissen und machte die Probe aufs Exempel.
Die «Yoga-Maschine»
Die Atmosphäre im Studio beim Zytglogge ist angenehm, persönlich,
hell und ruhig. Altes Mauerwerk und frisches Weiss bilden den kreativen Rahmen
für die eigentümlichen Yoga-Maschinen, an denen die Bewegungsarbeit
nach einem kurzen Einführungsgespräch beginnt.
Man setzt sich auf eines der multifunktionalen Geräte aus Holz, die von
weitem aussehen wie eine Mischung aus Webstuhl, Hausorgel und Bodybuildingmaschine,
und beginnt - wie ein Schwimmer im Raum - nach präziser Anleitung zwei
Scheiben zu drehen, so als ginge es darum, aus unsichtbaren Körnern Mehl
zu mahlen. In das leise Surren der Trainingsgewichte mischt sich nach und
nach das rhythmische Ein und Aus des Atems.
Geführter Widerstand
Die Koordination von automatischen und bewusst geführten Bewegungsabläufen
ist nicht einfach. Der leichte Widerstand, der ans Gehen im Wasser erinnert,
irritiert auf Anhieb ein wenig. Doch schon nach wenigen Wiederholungen stellt
sich durch die körperliche Aktivität ein schwebendes Bewegungsgefühl
ein, dessen Wirkung sich nicht nur auf den Körper beschränkt. Von
innen heraus scheint man zu einer Körpermelodie zu werden, frei wie im
Flug und gleichzeitig in der Yogamaschine gebunden, wie eine Notenkette in
einem Liniensystem. Dabei werden die Sehnen und Muskeln gefordert aber nicht überfordert.
Alles vom Zentrum aus
The Art of Exercising ist ein Weg zum Wohlbefinden. Mit jeder Bewegung, deren
Ursprung stets vom Zentrum aus geht und sich in symmetrischen Kreisen in die
Extremitäten fortsetzt, werden die Muskeln, Gelenke und Glieder auf sanfte
Weise gelockert, gedreht und gedehnt. «Zentrum bedeutet Hara: das koordinierte
Zusammenspiel von Vorder und Rückseite», erklärt Eliane Eicher.
Sie weicht nicht von der Seite des Kunden, «arbeitet» mit ihm
mit. Die intensive Betreuung macht Sinn: Ihrem geschulten Auge entgeht keine
Ungleichmässigkeit, keine Blockierung, keine Verspannung oder Muskelschwäche,
die eine falsche Bewegung bewirken könnte. Und sie scheint über
einen unendlichen Fundus an neuen Übungen und kreativen Variationen zu
verfügen so dass man immer wieder neu beginnen kann.
Sanft und effizient
Die sanfte Arbeit an der Yoga-Maschine macht Spass. Sie unterscheidet
sich grundsätzlich von jener leistungsorientierten an einer Kraftmaschine,
wie man sie aus Fitnessstudios kennt. Auch wird nie nur eine Muskelgruppe
beansprucht: Die kreisförmigen Bewegungen stimulieren alle Körperteile,
die Muskeln, Sehnen, Bänder und Bindegewebe. Selbst die inneren Organe
werden «massiert». Wie auch bei der Alexander-Technik oder der
Feldenkrais-Therapie wird die Wirbelsäule als zentrale, strukturgebende
Mitte des Körpers aufgefasst: wenn hier Blockierungen auftreten kann
das unangenehme Auswirkungen auch in allen andern Bereichen auslösen.
Eliane Eichers intensive und vielfältige Kenntnisse des Körpers
- «ich gehe den Dingen auf den Grund», die sie sich in über
dreissigjähriger Erfahrung als Tänzerin und Tanzpädagogin in
aller Welt erworben hat, kommen den verschiedenen Klienten voll zugut.
So verlassen nicht nur professionelle Tänzerinnen und Tänzer das
Studio am Zibelegässli mit neuen Erkenntnissen über sich selbst
und über die Beziehungen von Kraft und Beweglichkeit, Energie und Ausdauer,
Gesundheit und Bewusstsein, sondern auch Laien. Es ist wohl nur noch eine
Frage der Zeit bis GYROTONIC® als Kunst des Übens
in Europa breiter bekannt wird.
